Abgelehnt- Hildesheim sammelt Pornos 

von Simon Frisch 

15.1.2000– 6.2.2000

Der Titel der neuen Ausstellung in der Galerie Via 113 Artgenossen klingt skandalträchtig: “Abgelehnt – Hildesheim sammelt Pornos”. Wer lehnt hier wen ab, warum sammelt Hildesheim Pornos? Man tritt durch die Haustür der Via und wird förmlich erschlagen. Links und rechts und frontal: wändeweise Ausschnitte aus Pornoheften, zusammengeklebt zu Bildtapeten nackten Fleisches. Das Auge rauscht vorüber, unfähig und unwillens, die Fotoflut im Detail aufzunehmen. Der nächste Raum ist übersichtlicher, dort gibt es gezeichnete Akte – mit rohen und entschlossenen aber auch ungenauen Strichen. An der Treppe und im Obergeschoss weitere Varianten des Themas: Kalenderblätter, Buntstiftskizzen, Sex-Pokerblatt, asiatische Aktbilder, eine unterhalb der Decke angebrachte Bordüre aus Sexfotos, auch ein Ständer mit Literatur: von de Sade über Tommi Ungerer bis hin zum philosophischen Aufsatz von Gilles Deleuze.

Zwar nicht all das, aber doch einiges wollte davon Simon Frisch ursprünglich für die gerade im Stadtmuseum eröffnete Schau “Hildesheim sammelt” zur Verfügung stellen. Die Organisatorinnen der Sammlerausstellung, Studentinnen der Universität Hildesheim mit dem Professor Hans Otto Hügel, entschieden sich jedoch mehrheitlich gegen Frischs Beitrag. Julia Linder, eine der Studentinnen und zugleich Mitarbeiterin der Via mochte sich mit der Ablehnung so nicht abfinden. Der Ausstellung im Stadtmuseum fehle der Stachel: “Es ist eine nette, schöne Ausstellung über das Sammeln”. Doch Grenzbereiche am Rande der gesellschaftlichen Akzeptanz seien ausgespart.Damit die Pornosammlung nicht unter den Tisch fällt, wird sie nun in der Via gezeigt. Umfangreicher und vielseitiger, als fürs Stadtmuseum geplant. Zusätzlich hält der Medienwissenschaftler Simon Frisch an den drei kommenden Sonntagen jeweils um 17°° in der Galerie Vorträge zum Thema Porno und Erotik, zwischen Sexabbildung und Kunst. Nach dem Besuch der Ausstellung fällt es schwer, hier einen klaren Trennstrich zu ziehen. Unzweifelhaft werden Pornos gemeinhin als Schmuddelkram abgetan, ebenso wird das meisterhafte Ölgemälde einer Venus von den meisten als Kunst gewertet. Irgendwo dazwischen, je nach technischer Perfektion befindet sich wohl die Aktfotografie und Malerei. Doch wer die Sexfotos neben den Zeichnungen sieht, das Kartenspiel neben dem wissenschaftlichen Aufsatz ist sich seines Urteils nicht mehr sicher. Warum kann das eine nur die Ablichtung von seelenlosen Gymnastikübungen sein, das andere hingegen Kunst? Was ist mit dem endlos großen Bereich der Gebrauchserotik vom Titelblatt austauschbarer Fernsehzeitungen bis zum Jahreskalender einer Schweißtechnikfirma? Die Ausstellung wirft Fragen auf, mehr als sie beantwortet. Das kann und muß der Betrachter selber schaffen. Die Sammlung mit einem kurzen Kopfschütteln ad acta zu legen, geht nicht. Abgelehnt.

(Ralf Neite, HAZ )

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