DAS NERVÖSE KARTELL

–Schlingensief nach Abramovic–

Der Doppelsieg auf dem Basisprogramm der psychotischen Kulturhauptstadt. Der Handelnde oder die Handelnde seien immer gewissenlos, heißt es bei Goethe, und ich habe diesen Aphorismus doch so verstanden,daß das Handeln die Bewußtseinsfunktionen naturgemäß einschränkt, daß dieser Satz gar kein moralischer ist, obwohl es doch mein Gerechtigkeitsempfinden immer verletzt hat, daß die nichthandelnde Person ein schlechtes Gewissen hat, demgegenüber die doch nur aus schlechtem Gewissen Handelnde mit gutem, ja bestem Gewissen handelt. (siehe: "Free rivers running slow and lazy, life wasn't meant to be run, Rennen am Sonntag und ewiges Freitagstraining") 

Wir hatten uns (im ewigen Freitagstraining) ungemein ereifert über die Aussagen der Belgraderin A. (53), wir hatten uns nicht zurückgehalten, in einem perfiden Vorgang unseres Besprech-ungsradikalismus deren Aussagen im vulgärinternationalistischem Idiom des false-friend-english, zu Thesen zu erklären, damit sie für unsere Zwecke überhaupt erst handhabbar würden. Wir konnten mit Erleichterung feststellen, daß wir aus diesem schwach besetzten Diskurs durch uns selbst siegreich entlassen wurden, ohne daß das Stigma des Sozialneides, dessen Recht immer monologischer Natur und also ein lächerliches ist, uns um ein weiteres Mal die Jahre vorgezählt hätte, die zumindest ich künstlerisch überhaupt distributionssuspekt und vor allem ohne Nervosität verbracht hatte.Der Nervöse bleibt der Erinnerung nichts schuldig, weil er seine Erinnerung beständig produziert, kanalisiert, etwas wegdrängt und umbaut (siehe: thus conscience does make cowards of us all, Zögern heißt sich erzählen, Erzählen ist Feigheit, womöglich vor dem Freund), während uns doch auch immer das lethale Material der schmalen Katastrophen, die durch jene schützende, aber am Ende immer als bedeutungsvernichtend gehaßten Wald-und-Wiesen Disposition, ausgleichbar waren, offensteht, dem kein übergeordneter Drang abzuringen ist, ein treten-sie-zur-Seite-ich-kann-nicht- wir hätten immer anders gekonnt, aber wir haben bis heute auch überhaupt nicht gekonnt; da ist kein Selbstverständliches. Wir bewundern die Selbstverständlichkeit der Nervosität und das ist die Selbstverständlichkeit des Handelns überhaupt, wo dieses Handelnein künstliches ist.Von der eigenen inneren Ruhe, mit der wir unsere Analyse vollzogen, euphorisiert, brachten wir doch noch so viel Verstand auf, diesen lustvollen Gang in den Subtext ausschließlich der Gastgeberin zu verdanken, die sich ja tatsächlich der disziplinüblichen Allüren aufs Angenehmste enthielt, und deren Normalisierungsrituale doch wenig peinlich waren, daß es unserer Achtung und Selbstachtung abträglich gewesen wäre. Das vorgestellte Klassendiktum des Weniger-denken-ist-mehr, war erwartungsgemäß in einzelner Bedeutungsproduktion aufgegangen; die inzwischen bald befremdliche lineare Abfolge einzelner, zur Öffentlichkeit hingestalteter Privatismen in Ausstellungen hatte sich offenbar mit so erschütternder Reibungslosigkeit kommunenhaft vollzogen, daß man versucht war, sich dem Heimleuchten des Systems dort hinzugeben, wo die MentorIn wenigstens hirarchische Dynamik, wenn auch nicht eschatologische Grundrechte für Verweigerer bereithält. Wir wollten indes mit der gnadenlosen Anti-Hermeneutik des Kunst Nervösen längst unseren Frieden schließen, es allerdings versäumen, die wahrhaft Nervösen von den Nachahmern zu scheiden (siehe: Die Erfindung der persöhnlichen Tragödie aus dem Geiste lebenszeitprofessoraler Jovialität), als uns diese Veranstaltung, zu der interessierte Kunstpädagoginnen eingeladen hatten, deren vorherrschender Zug ja immer ein heilloses Interesse von erschütternder Positivität ist, das hundert untote Diskurse im Handgepäck führt, uns unterbrach. Allein, ich glaubte, durch den Verweis auf die professionelle Überzahl erklärter Formgetriebener hinsichtlich des Arbeitsmarktes charmanter provozieren zu können, als durch das durchaus berührende Insistieren auf den Darwin-Verdacht (survival of the fittest) vonseiten jenes Historikers, dessen Marschroute durch die Institutionen mir ja immer ein Rätsel geblieben ist, war aber nach kürzester Zeit heilfroh, mich nicht als fleischgewordene Rezession unmöglich gemacht zu haben, zumal die Stimmung jeden Witz, auch den an der Sache ersetzte.Über der ganzen Ausstellung schien das Rätsel zu schweben, wie M.A., die ja tatsächlich Epochen der sogenannten Kunstgeschichte,ebenso wie immerhin noch vom Mond sichtbare Bauwerke abgelaufen hat, in teilweise tatsächlich völlig perversem Antrieb sich an den Existenzrand herangearbeitet hat, um dann im allerletzten Moment alle Glaubenslinien auf die chemisch vollkommene und reaktionsarme Materie der Kristalle umzulegen, die Bürgerlichkeit unserer Generation erträgt. Der neurotische Fake flog ja allerorts sofort auf; daß beim süffisanten Spiel mit französischen Triebschicksalen die interessantesten Körperöffnungen schamhaft umgangen werden, verspricht ja bestenfalls eine Eßstörung und bedeutet nur, den eigenen Lebensmangel ästhetisch zu adeln; mit Japanern kenne ich mich nicht so aus, die treffen mit ihren Traditionsformalismen immer in die Wunde des europäisch-postmodernen Indifferenz-Komplex,die echten Störungen hingegen unterlagen für die Kunst der falschen Neurosenwahl. Das Schlimme ist, daß jede Kindheit schlimm war, wer aber würde uns so deprimieren wollen, das zu beweisen? Im Kreise ihrer Lieben, den zu alten, zu jungen SlackerInnen, ratlos empfielt dieses, aber:a nervous hero – is something to be. 

P.S.: Schlingensief, der gerade als Fascho die Spitze vermeintlicher Tabus und deren dramaturgische Brüche erklommen hat, machte uns etwas Angst, weil wir nicht wissen, was außer Gerontophilie noch zu erwarten wäre, aber vor allem, weil Macht keine Metasprache hat (siehe: die aktionistische Tarnung der latenten Psychose als förderungswürdige Neurose) Und die Kunstpolizei ist wie immer auf dem rechten Auge blind.

 

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