Schlösser zwischen Weimar und Buchenwald

12.4´99 – 17.7.´99

TH Manets Olympia war ein Skandal und man sieht ihn noch heute, ohne die Geschichte des Bildes zu kennen. Manets. Auch wenn der Name an klassische Themen gemahnt, ist die Nacktheit nicht versichert in allegorischen Sujets. Das Bild gleitet nicht hinüber ins Paradies oder in die Welt der Sagen und Mythen. Ruhig, schamlos fast, blickt Olympia aus dem Bild: eine Zeitgenossin, umgeben von Staffage. Sie posiert. Ihre Entblößung hüllt Manet nicht in einen Topos, der Nacktheit verlangt, sie ist nicht im paradiesischen Zustand natürlicher Nacktheit, sie ist AUSGEZOGEN. Nacktheit ist hier Mangel von Kleidung. Olympia hat sich ausgezogen, um gemalt zu werden. Unverschämt ist bei Manet, daß man es sieht, daß er nichts anderes darstellt. Seine Umgebung führt nirgends hin, wir bekommen keine Geschichten erzählt. Die edle Evokation antiker Festspiele verblasst im Namen eines zeitgenössischen leichten Mädchens. Wir sehen das Bild einer nackten Frau. Es gibt keinen weiteren Grund für das Bild, keine Geschichte, kein Thema, welches in der Anschauung evident werden soll. Das Bild, die Frau - das ist das ganze Sujet. In der Banalität des Sujets wird das Bild selbst zum Thema. Das Bild ist Bildanlaß. Die Sichtbarkeit des Bildes tritt im Impressionismus an Stelle der Auslegung der Welt. "Ich habe gesehen ", eine seltene Feststellung, obwohl überall von der Visualisierung der Welt die Rede ist. Meist verstellt einem der Künstler schon den Blick und wenn nicht der, so der Aussteller, der Kritiker oder die Angst des Betrachters, welche das Sichtbare im Wissbaren zu versichern suchen und einen Sermon von Erklärungen, Bezügen und Anspielungen über alles kippen, was dargeboten wird. Man betritt eine Ausstellung und findet sich schon nach kurzer Zeit in Bibliotheken wieder und erfährt allerlei über alles mögliche. Autorisierende Referenzen überlagern das, was vor Ort zu sehen ist, anspielungsreich angereichert mit Geheimwissen versichert sich das Werk eines Wissensvorsprungs und löst sich auf in einem Bildungsrätsel - bevorzugt sind immer noch Popikonen der Subkultur: Rimbaud nach wie vor an exponierter Stelle - 150 Jahre jung. Wie eine Spülleine wirkt der erläuternde Diskurs und das ganze Werk verschwindet im Abflussrohr der Erklärung. "Schlösser zwischen Weimar und Buchenwald" - der Titel ist bis zum Anschlag aufgeladen mit Referenzen: 1. "Weimar": Deutsche Klassik, DDR; 2. "Buchenwald": KZ, Nationalsozialismus , Vernichtung; "Schlösser": a) Paläste, Herrschaftssitze, Märchengebäude. b) Riegel. Das Wort "und" zeigt eine Verbindung zweier Elemente zu einem Ensemble an, "zwischen" evoziert einen Abstand im Ensemble. Ein Ensemble mit Zwischenraum, eine Strecke ist das Thema der Ausstellung. An deren Enden strahlen Weimar und Buchenwald ihr Assoziationspotential über die gesamte Strecke. In diesem Assoziationsfeld liegen die „Schlösser", die den Abstand füllen: Bevor man die Ausstellung gesehen hat, evoziert der Titel die alte Zeit der deutschen Klassik, als es noch Höfe gab, den unverschämten Reichtum der Nazibonzen, oder vielleicht einfach eine baustilgeschichtliche Untersuchung. Die Betonung des geographischen Aspekts Untersuchung. Die Betonung des geographischen Aspekts durch die beiden Städtenamen verdrängt vorläufig die zweite  Bedeutung des Wortes "Schlösser" (= Riegel, Verbindungen). Im Treppenhaus Artgenossen vor den Photographien angekommen, ersetzt der Riegel den Palast. Der Titel löst sich auf in einem Wortspiel: "Ach, Schlösser! - ich hatte gedacht Schlösser"; (zugegeben: wer Schürer kennt, hatte das geahnt.) Nun schlägt man den ganzen Titel dem Assoziationsfeld "Buchenwald" zu: Lager, Gitter, Riegel... und schon erzählt man sich eine neue Geschichte. Dabei übersieht man die Photographien, die sich in der Reihung als Variationen eines Themas darbieten. Variation und Serie, die eine geographische Strecke zurücklegen: die zwischen Weimar und Buchenwald eben, während der Ausstellungsbesucher selbst das Ausstellungsgebäude in seiner Vertikalen durchmisst. Das ist dann aber auch schon alles: die Assoziationsfelder werden deaktiviert, angesichts der bunten Banalität der Vorhängeschlösser. In der Serie erschöpft sich das Sujet, weil man nach dem zehnten Schloss nicht mehr weiß, weshalb man es sich ansieht, und so hat man etwa die Möglichkeit, festzustellen, daß Photographie immer eine "Licht-Zeichnung" ist und daß die interessanteren Photos solche mit ausgeprägten Lichteffekten sind. Das Sujet löst sich in der Variation auf ...- „Nein,", wird man mir entgegenhalten, „gerade in der Serie löst sich überhaut nichts auf, sondern das Photo verschwindet hinter dem Sujet, welches sich als Idee ablöst von seinem Darstellungsmittel."  - Ja, stimmt, richtig, das muss ich zugeben: Die Photographie verschwindet in der Serie des Motivs. Wenn nun also zuerst die Paläste verschwinden, dann das Sujet in der Serie und dann auch noch die Photographie hinter den Vorhängeschlössern, woran liegt das? Läuft alles schließlich auf das Vorhängeschloss in übertragenem Sinne hinaus, welches dem Betrachter den Zugang überhaupt verwehrt? Bleibt letztlich jenes bestehen und reißt gleichzeitig alles mit sich fort in den Abfluss der Bedeutung, die bzw. den es produziert? Es ist eine Frage der Tiefe, der Bedeutung, der Beziehungen und letztlich doch nicht. Diese Überlastungen von Aufladungen in Ankündigung und Präsentation produziert so viele Bedeutungen, daß für keine einzige mehr Platz ist, daß alle Abflüsse verstopft werden.

Was immer man in der Via besichtigt hat, man hat nichts über etwas anderes erfahren. Bedeutungen werden bei den Artgenossen schon lange nicht mehr produziert. Immer wird das eine angekündigt und das andere ist da - ohne sich zu entfalten. Tatsächlich arbeitet Schürer immer am Rand der Arbeiten, an den Rahmungen. Ihn interessiert, wie Tiefe aussieht, wenn man sie nur von oben betrachtet. Er ist kein Expressionist, der hinabsteigt um Bedeutungen zu bergen, sondern er arbeitet wie Monet, der in seinen Seerosenbildern die die Sichtbarkeit der Welt an der Oberfläche der Wassertiefen zum ausschließlichen Anlaß seiner Arbeit gemacht hat. Das war letztlich zu sehen im Treppenhaus: Kein Photo, kein Weimar, kein Buchenwald, kein Schloß, aber Tiefe von oben:
Eine Ausstellung als Ausstellungsanlaß.
( Simon Frisch)

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